Gesetzlich vorgesehen

28. April 2013

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat am 21.02.2012 (50216/09) zum ersten Mal über die Verweigerung des gemeinsamen Sorgerechts entschieden, seitdem in Deutschland infolge eines Urteils des EGMR vom 13.12.2009 und ihm nachfolgend des BVerfG vom 21.07.2010 eine gerichtliche Prüfung möglich ist. Die Beschwerde hatte sich insoweit erübrigt. Zu entscheiden war noch über die Konsequenz der gesetzlichen Regelung, bei Differenzen zwischen den Eltern unabhängig von der Frage, wer diese verursacht, das Sorgerecht automatisch der Mutter zuzusprechen.

Die deutschen Familiengerichte sind zu dem Schluss gekommen, wegen der anhaltenden und unüberbrückbaren Differenzen zwischen den Eltern sowie der mangelnden Einigung in Fragen der Erziehung, der Betreuung und des Aufenthaltsorts, wäre eine gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl abträglich, und haben deshalb die elterliche Sorge allein der Mutter belassen.

„Da die Eltern keine gemeinsame Sorgeerklärung abgegeben hatten, erhielt die Mutter nach § 1626a Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (‚BGB‘ – siehe das einschlägige innerstaatliche Recht) die alleinige elterliche Sorge.“

Zur Entscheidung stand die Frage, ob die deutschen Familiengerichte das Recht auf Achtung des Famlienlebens des Beschwerdeführers verletzt haben.

Der inoffizielle Leitsatz der NJW zu dieser Entscheidung (Meyer-Ladewig/Petzold) lautet in Punkt 3:

„Die Ablehnung der deutschen Gerichte, dem Beschwerdeführer das Sorgerecht zu übertragen, war ein Eingriff in sein in Art. 8 EMRK garantiertes Recht auf Achtung seines Familienlebens. Dieser war nach Art. 8 II EMRK gerechtfertigt, denn er war ‚gesetzlich vorgesehen‘, diente dem berechtigten Ziel der Förderung des Kindeswohls und war ‚in einer demokratischen Gesellschaft notwendig‘, insbesondere auf ’stichhaltige und ausreichende‘ Gründe gestützt.

Eine nicht amtliche Übersetzung der Entscheidung des EGMR in die deutsche Sprache hat das Bundesministerium der Justiz veröffentlicht. 50216/09

Der elfjährige Sohn hatte den Wunsch geäußert, bei seinem Vater zu leben, und die Mutter nur noch zu besuchen. Der Wille des Kindes war nach Feststellung der deutschen Familiengerichte unbeachtlich, da das Kind nicht in der Lage sei, die gravierenden Konsequenzen einer solchen Entscheidung zu erkennen.

Das Bundesverfassungsgericht hatte die Annahme der Beschwerde des Vaters ohne Angabe von Gründen abgelehnt.

Damit nicht eheliche Väter nicht etwa trotz der gesetzlich vorgesehenen Aussichtslosigkeit Klage erheben, bringt der Bundesrat nun noch einen Entwurf für ein Jahressteuergesetz in den Bundestag ein, mit dem die Abzugsfähigkeit von Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen ausgeschlossen wird. BT-Drs. 17/13033

Der Bundesfinanzhof hatte mit Urteil 12.05.2011 (VI R 42/10) in ausdrücklicher Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, Zivilprozesskosten könnten unabhängig von dem Gegenstand des Prozesses aus rechtlichen Gründen zwangsläufig erwachsen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. VI R 42/10

Der BFH ging dabei von § 33 Abs. 1 EStG aus, wonach die Einkommenssteuer auf Antrag in einem bestimmten Umfang ermäßigt wird, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommenverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen (außergewöhnliche Belastungen).

Bei den Kosten eines Zivilprozesses spreche nach bisheriger ständiger Rechtsprechung des BFH eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit. An dieser Rechtsauffassung halte der erkennende Senat nicht länger fest. Denn die Auffassung, der Steuerpflichtige übernehme das Prozesskostenrisiko ‚freiwillig‘, verkenne, dass streitige Ansprüche wegen des staatlichen Gewaltmonopols, das der Verwirklichung des inneren Friedens dient, regelmäßig nur gerichtlich durchzusetzen oder abzuwehren sind. Dies folgt aus dem Rechtsstaatsgrundsatz, der in Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes allgemein niedergelegt ist und für den Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt in Art. 19 Abs. 4 GG seinen besonderen Ausdruck findet. Es sei ein zentraler Aspekt der Rechtsstaatlichkeit, die eigenmächtig-gewaltsame Durchsetzung von Rechtsansprüchen grundsätzlich zu verwehren. Die Parteien würden zur gewaltfreien Lösung von Rechtsstreitigkeiten und Interessenkonflikten der Staatsbürger vielmehr auf den Weg vor die Gerichte verwiesen. Zivilprozesskosten erwüchsen Kläger wie Beklagtem deshalb unabhängig von dem Gegenstand des Zivilrechtstreits aus rechtlichen Gründen zwangsläufig (Rn. 13).

Die daraufhin durch den Bundesrat vorgeschlagene Änderung (BT-Drs. 17/13033, s. o.) findet sich auf Seite 19 des Textes (S. 23 PDF):

„Dem § 33 (EStG) wird folgender Satz angefügt: ‚Aufwendungen für die Führung eines Rechtsstreits (Prozesskosten) sind vom Abzug ausgeschlossen, es sei denn es handelt sich um Aufwendungen ohne die der Steuerpflichtige Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können.'“

Die Begründung für den Vorschlag findet sich auf Seite 128 des Textes (S. 132 PDF):

„Der BFH hat mit Urteil vom 12.5.2011 (BStBl II 2011, 1015) entschieden, dass Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG zu berücksichtigen sind, wenn der Steuerpflichtige darlegen kann, dass die Rechtsverfolgung oder -verteidigung eine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Die generelle steuermindernde Berücksichtigung von Prozesskosten entspricht nicht dem sonst bei außergewöhnlichen Belastungen geltenden Grundsätzen der Zwangsläufigkeit und Außergewöhnlichkeit. Es ist daher angezeigt, die Anwendbarkeit auf einen engen Rahmen zu beschränken.“

Ergo: Die steuerlich anzuerkennende Bedeutung als Staatsbürger beschränkt sich auf die materielle Existenzgrundlage. Der Rechtsstaatsgrundsatz ist Privatvergnügen.

Es wäre auch bizarr geworden, wenn die Finanzverwaltung zukünftig den Abzug der Kosten für einen Sorgerrechtsstreit bis zum EGMR mit der Begründung hätte ablehnen wollen, die beabsichtigte Rechtsverfolgung biete nach dem Willen des Gesetzgebers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg und sei deshalb mutwillig.